
Fotoforenprofis sind ja immer wieder entzückend. « Wenn ich kreativ arbeiten will, nehme ich die Systemkamera ». « Für Aufgaben, wo allen klar ist, dass es hier um’s Fotomachen geht, würde ich das Ding (Anm. : Panasonic Lumix GM5 ) nie nehmen » und derlei weitere wilde Feststellungen. Guckt man sich die Bilder dann an, macht sich Tristesse breit.
A New Branch on the Tree
Klassiker von Albert EINSTEIN : Kreativität ist Intelligenz, die Spass hat.
Per definitionem : schöpferische Kraft, kreatives Vermögen, in phantasievoller und gestaltender Weise zu denken und zu handeln.
Kreativität ist ein Zusammenspiel von Begabungen, Wissen, Können, intrinsischer Motivation, Persönlichkeitseigenschaften und unterstützenden Umgebungsbedingungen.
Sprachwissenschaftlich : Mit der sprachlichen Kompetenz verbundene Fähigkeit, neue, nie gehörte Sätze zu bilden und zu verstehen.
Bedeutet für die Fotografie : Die (visuelle) Sprache der Fotografie zu kennen ist unabdingbar.
Creativity is about two things : The way we think and the way we turn those thoughts into reality
Kreativität ist die Anwendung von vorhandenem Wissen in einer – gerne ‘neuen’ – Situation, um ein Ergebnis zu erzielen.
creative vision / visual design / technical and creative capture / expressive processing – in den ersten beiden steckt die Würze, der Rest ist Kindergarten. « Technical and creative capture » meint : Kenne deine Ausrüstung (schoooon wieder, neee, ne ? Doch. ) und kenne die Mittelchen und Kniffe, was du ausdrücken willst und wie du das ausdrücken willst. Kreativität, deine Vision, das sind die Dinge, die einer Kamera fremd sind. Wird immer so sein. Die Kamera ist nicht kreativ. Es ist der Bediener, der mit dem Ding seine Vision von dieser Welt, seine Kreativität festhält.
Auf den geringsten Nenner gedrückt, wenn wir eine Kamera in die Hand nehmen, sind das : Komposition / Fokus / Belichtung / Processing (Bearbeitung). Kamera kann drei davon, die Sache mit der Komposition nicht. Da spielt sich der Grossteil fotografischer, visueller Kreativität ab. Aber erst einmal das Billige
Die Technik
… ist geeignet, kreativ damit was zu veranstalten. In beschränktem Rahmen, aber geht. Im Wesentlichen dient die Kamera der Genauigkeit, Zuverlässigkeit und damit Wiederholbarkeit von ‘Einstellungen’. Ich beschränke mich hier auf das Kamerageraffel. Mit Licht spiel selber, da halte ich mich jetzt zurück. Mit Blitzeldings und sonstigen Lampen sei mutig und verwegen. Aufgemerkt : Eine Seite rot, andere blau ist ausgelutscht und nur noch eine billigste Kopie. Cyan / orange ditto. Grell unifarbene Hintergründe ist voll 2014.
Kamera
Fokus, Blende, Belichtung und Verschlusszeiten. Crazy stuff : Geht mit Kompakten, mit Bridgekameras, mit dem Telefon. Es gibt keinen Grund, das Konto ‘für Kreativität’ zu plündern. Limitation means Freedom.
Mit dem Fokus ruhig mal verrückt werden und Vordergrundobjekt gross und unscharf sein lassen. Oder gleich alles unscharf und nur auf die entstehenden Muster gehen. Finde raus, wie sowas mit den ganzen dollen Automatiken bewerkstelligt werden kann.
Blende kann auch mal zu, nech ? Guck dir die Bilder von William EGGLESTON an. Oder Martin PARR. Ach … Eigentlich von allen, die visuell was auf dem Kasten haben.
Bei der Belichtung darf die Automatik durchaus ignoriert und gezielt unter- oder überbelichtet werden. Das Empfinden beim angucken wird ein anderes. Lass einfach die Schatten in Ruhe. Und leichtes Rauschen bzw. ‘Korn’ sorgt für eine Empfindung, ein Gefühl, das keiner so recht in Worte bekommt. ‘Glaubwürdiger’, jenseits der klinischen Rein- und Gleichheit heutiger Optikmonster, vielleicht. Klammheimlich hinter der Hecke getauschte Erinnerung. Bisschen was an Intimität. Melancholie. Flüchtigkeit. ‘Magie’. Denk einfach kurz drüber nach, bevor musst-du-unbedingt-und-auf-jeden-Fall-machen DeepPrime alles plattbügelt.
Verschlusszeit kann Geschwindigkeit (panning mal probiert ? ), verrinnende Zeit (hier eher kein panning … ), Unsicherheit, energiegeladene Spannung, Ruhe etc. Ausdruck verleihen.
Processing gleich schon in camera sind die ganzen Simulationen, die es so gibt. Ein Tip : Wenn die Entscheidung auf schwarzweiss fällt, dann mach das gleich ab Kamera. Es will anders geguckt werden, als bei Farbe. Lass das Nölen, ist so. Schwarzweiss – und damit Kontraste vor allem mit Licht, Linien, Formen und Konturen – ist eine andere Gegend, als buntes Bälleparadies. Hinterher am Rechner gucken, ob es vielleicht auch in sw gut aussehen könnte, ist in den meisten Fällen eine schon vorher vertane Chance.
Doppelbelichtungen möglich ? Spiel damit. Braucht Überlegung und Planung, aber wenn es klappt, ist es interessant.
Objektive : Weitwinkel
Das Gefühl von ‘Mittendrin’, Linien, Perspektive. Mit teils dramatischen Änderungen, wenn du dich auch nur ein kleines bisschen bewegst, deinen Standort änderst. Mach was draus.
‘Möglichst viel ins Bild’ machen die technikblingblingpixelverliebten Fredels, weil sie es nur so bzw. ’nur das’ kennen. All the gear and no idea. Geschwätziges Bild. Eine Kakophonie in 400% 😵💫
Das sonstige Glas, insbes. mittlere Tele
Das ‘mittlere Tele’ a.k.a. ‘Portraitbrennweite’ ist in erster Linie dafür da, um Gesichter möglichst harmonisch, proportional gefällig abzubilden und eher weniger vor dem Hintergrund, Matsche aus selbigem zu machen. Je länger die Brennweite, desto grösser der Effekt einer räumlichen Verdichtung ; je nach Motiv ein Gefühl von Gedränge, Masse. Mach dich schlau.
Mit den ’Normalbrennweiten’ zauber selber, ich bin da gerade zu faul für lustige Sachen.
Von Hein Tech und seiner Gefolgschaft hingegen gibt es … Offenblende. Und in der Regel alles scharf wie ein Rasiermesser. Ende der Fahnenstange. Sehr dürftig. Eigentlich weniger als dürftig.
Die hakelige Sache bei vielen ist die Geschichte mit dem ‘fotografischen Sehen’ und wie was ein- und umgesetzt werden kann.
Technique is important only insofar as you must master it in order to communicate what you see … In any case, people think too much about techniques and not about seeing.
– Henri CARTIER-BRESSON
Kompositionselemente
Komposition kann die Kamera so gar nicht. Kompositorische Elemente sind aber die Grammatik der visuellen Sprache und es liegt allein an dir, damit virtuos zu jonglieren.
Aufgemerkt : Dimension, Grössen in relativen und absoluten Verhältnissen, Bewegung, Anordnung, framing, Tiefe, Farbe, Licht natürlich, mit Schatten und pipapo, Kontraste, Bewegungsfluss, juxtaposition, Perspektive, Linien jeglicher Art und Konturen, Richtung, Tonalität, Balance, Harmonien und Disharmonien, Manipulationen aller Art, Symbolismus, Rhythmus, Ebenen, Vereinfachung, Metaphern, Beleuchtung, Verhältnis von visuellen Dingen zu Text im Bild, positive und negative space …
Wenn ich eine Fotografie betrachte, dann ist das mehr (und vor allem länger) als ein « schick », « nicht schick », « oha ».
Ich frage mich, warum das Bild für mich funktioniert. Warum ich ein bestimmtes Gefühl dabei habe, das Bild als Ganzes oder das Hauptsubjekt zu begucken. Warum der Fotograf diesen Winkel gewählt haben mag. Diese Linie. Diese Juxtaposition. Licht und LIchtsetzung. Für wen das Bild ist, wer Zielgruppe ist. Farbwirkungen, Ausdruck von abgebildeten Personen oder Models, Klamottenstile. Ich frage vor allem bei älteren Bildern, in welchem zeitlichen Zusammenhang die einzuordnen sind, was da so los war, in dieser Welt. Ich kann danach fragen, weil ich viele Sachen kenne, nach denen ich gezielt gucken kann. Und je mehr ‘Antworten’ ich bekomme, desto mehr *sehe* ich, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass ich davon Dinge in meinen eigenen Bildern um- und oder einsetze. Um es mit olle GOETHE zu sagen : « Wir sehen nur, was wir kennen ».
Die Sache mit dem Um- und oder Einsetzen ist ein Knackpunkt. Was ich gesehen habe *und* vor allem was ich schon einmal tatsächlich selbst gemacht habe (gerne öfter als nur ein einziges Mal … ), das ‘kann’ ich, das kann ich vor allem abrufen. Kreativität. Dinge miteinander kombinieren. ‘Kreativität’ ist das Ergebnis von Übung, von Praxis. Es gibt Leute, die sagen über Frank Zappa, er sei ein Genie gewesen. Es gibt andere, die über ihn sagen, sein Werk sei das Ergebnis harter Arbeit und Neugierde.
Das Wunder der Kreativität im Galopp
Ein wenig Grundlagenkram sind die sogenannten ‘Sieben K’ :
Kalibrieren – du brauchst ein Ziel
Kennenlernen – dein Handwerk solltest du kennen (da ist es schon wieder, dieses ‘blinde’ Beherrschen der Kamera. Ob es dir nun gefällt, oder nicht … und dazu die ganzen visuellen Möglichkeiten und kompositorischen Hilfestellungen ) und die Neugierde (auch die kommt immer und immer wieder … « Der Ideenfindung auf die Sprünge helfen » ), Neues kennenzulernen und beherrschen zu wollen. Positiv orientiertes Denken hilft ganz ungemein dabei. Stell dein mindset entsprechend ein. Neugierde.
Merke : Die Kamera meisterlich zu beherrschen ist bei weitem kein Garant dafür, meisterliche Bilder hinzubekommen. Die visuelle Sprache … Oder halt « Baum ». « Grün ». Drittel und Ofenrohr.
Kombinieren – die Verknüpfung dieses Wissens geschieht gerne im Unterbewusstsein und meistens im Schlaf. Dann ist das Ding da unter dem Schädelknochen mit sich selbst beschäftigt und kann tun. Und Dinge ausbaldowern. Macht es auch, aber weil wir da grad so schön pennen, geht vieles einfach vorbei. (Wenn irgendwas so affenartig genial, irre, wasweissich und ich werde davon wach und finde das immer noch affenartig genial, irre, wasweissich – das Notizbuch liegt in Griffweite.) Hirn macht das aber auch, wenn es nicht gar so dolle gefordert wird und schiebt Ideenfetzen ins Bewusstsein. Dazu unten ein klein bisschen was.
Kreieren – diese Bruchstücke aus Träumen oder dem, was das Unterbewusstsein so rauslässt, das äussert sich in Ideen (schreib die auf. Dieses Notizbuch schon wieder. Ja ja, ich weiss.)
Konsolidieren – wenn sich die kreative Flut beruhigt, möchten die besten Ideen erkannt und ausgewählt werden. Durchkramen und kombinieren und verwerfen und neu zusammensetzen.
Konzentrieren – konzentriertes Arbeiten ist king (Telefon auf leise ? Und dieses nervige Gebrumme bei neuen Nachrichten abgestellt ? Das hält dich von allem Wesentlichen nur ab. Es ist die Pest.)
Kritisieren – ohne Feedback findet ‘die Sache’, ‘das Projekt’ kein Ende.
Eine kreative Persönlichkeit zeichnet sich aus durch ein erhöhtes Mass an Originalität, viel Hingabe für den kreativen Prozess, Fantasie und Vorstellungsvermögen, Selbstvertrauen im Umgang mit dem kreativen Werkzeug und seinem Metier. Merken. Machen.
Hol Luft
Schaff dir kreativitätsfördernde Freiräume, eine kreativitätsfördernde Umgebung. Will heissen : in diesen Momenten dieses blöde Telefon am besten in den Flugmodus schicken, auf dass das Dingen nichts empfangen kann. Guckst nämlich eh dauernd hin, wenn sich fünf Sekunden nichts tut, auf dem Teil. Ist aber Kreativitätskiller Nummer eins, heutzutage. Und lass die Stöpsel aus den Ohren. Hirn kann nicht, wenn es mit anderen Sachen beschäftigt und damit abgelenkt wird. Ich bin berüchtigt für meine ’schwere Erreichbarkeit’. Seit Anbeginn dieses modernen Zeitalters mit e-mail und Kram. Du bekommst kaum etwas anständig auf die Kette, wenn da permanent was aufploppt und vibriert und nach Aufmerksamkeit schreit. Nach der Aufmerksamkeit, die eigentlich gerade voll und ganz für eine andere Sache benötigt wird. Nahezu alles, was eine ‘wichtige Sache’ sein will, mag zwar irgendwie wichtig sein, aber die allerwenigsten sind so derartig pressierend, dass alles andere erst einmal warten muss. Punkt.
Mails können mit der Antwort warten. Die können auch schon mit dem Lesen warten – ich habe da immer noch drei Zeitfenster für am Tag, morgens, frühen nachmittag und kurz vor Feierabend. Das wars. Auf meinen Rechnern gibt es ausser für Systemärger keine Benachrichtigungen. Auf dem Telefon nur die roten Boppels, Rest ist totgelegt. Ausnahme drohende Termine, da brummt das.
Gut. Zurück zur Hirnaktivität. Ich habe das schon einmal fallen lassen, Geistesblitze kommen, wenn das Ding da oben quasi im Leerlauf ist. Dann, wenn wir uns mit der Welt um uns rum eher lieblos und ‘abwesend’ auseinandersetzen. Zähneputzen, Duschen, Abwasch und so Situationen. In diesen ‘Ruhephasen’ sortiert das Wunderding, ordnet Sachen ein und bewertet und klöppelt zusammen. Klick ! Idee !
Geh spazieren. Machen viele, ich auch. Ohne das Telefon. Oft auch ohne Kamera. Aber mit Notizbuch und Stift in der Tasche. Geistesblitze möchten festgehalten werden. Umgehend. Sonst sind die wieder weg. Ist so, aus eigener Erfahrung. Nicht aufschieben mit dem notieren, das wird nichts. Dann wieder den Gedankenfluss fliessen lassen. Ausserdem ist frische Luft gesund. Hock dich in ein café und beobachte. Feine Tasse Tee dazu, und einfach mal ‘sein’. Lass Gedanken und den Blick schweifen, ohne fixes Ziel.